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Die Theatergruppe  „Die Fremden“ ist eine multikulturelle Amateurtheatergruppe, d.h. die TeilnehmerInnen sind in Wien lebende (oder sich für einige Zeit aufhaltende)  AusländerInnen, (die aus verschiedenen Ländern der Welt kommen) und in sehr  seltenen Fällen auch ÖsterreicherInnen. Keine Rolle spielen Alter, Geschlecht,  Hautfarbe, Bildungsgrad und Sprachkenntnisse.

 

Die Anfänge

Die Gruppe  wurde zunächst 1992 von Dagmar Ransmayr im Sprach- und Kulturinstitut Cultura gegründet. Bei vielen StudentInnen bestand ein großes Maß an  Mitteilungsbedürfnis sowie der Wunsch nach Kontakt und Austausch. Beides  sprengte den Rahmen der sprachlichen Möglichkeiten, verlangte nach Erweiterung,  Bereicherung und Veränderung. Schon bald entwickelte sich in der Gruppe die  Möglichkeit der Integration, der kreativen Auseinandersetzung mit einer neuen  Umwelt sowie die Aufarbeitung von Erfahrenem und die Lust an der fremden  Sprache.

Zunächst waren es  vorwiegend Bilder, die sich mit dem Alltag von MigrantInnen in Wien in  realistischer und verfremdeter Weise beschäftigten. Das meiste waren eigene  Erlebnisse: ein fremdes Land, eine unbekannte Umgebung und eine „neue Codierung“  schaffen Unsicherheit und bedeuten eine starke Verminderung für das  Selbstwertgefühl. Auf eine (symbolische) Bühne zu treten und einen Teil der  eigenen Geschichte darzustellen, mitzuteilen und sich damit sich auch selbst  „klarer“ zu machen, ist ein Schritt aus der „Sprachlosigkeit“ hinaus.

Die Erfolge

In den folgenden Jahren  tendierte die Gruppe immer mehr weg vom Status einer „Deutschkurs-Gruppe“. Seit  1993 entstanden abendfüllende Produktionen - etwa eine Produktion pro Jahr  [siehe: Spielbiografie].

Seit 1995 ist die Gruppe  selbständig und spielt an verschiedenen Spielorten in und in der Umgebung von  Wien. 1998 wurde der Verein „Die Fremden – Verein für multikulturelle  Theaterarbeit“ gegründet. Seit dem Bestehen der „Fremden“ spielen und spielten  in der Gruppe bei 12 Produktionen 54 Personen aus 29 verschiedenen Ländern mit  [siehe: SpielerInnen]. 

Die Gruppe lebte  und muss immer wieder mit dem Kommen und Gehen der Mitglieder leben, die Themen  Abschied und Veränderung sind ihr implizit. Manchmal verlassen die  SchauspielerInnen mitten in einer Produktion das Land, oft erfolgt eine  Rollenübergabe von einer Freundin an die andere. Die Gruppenmitglieder müssen  sehr flexibel sein.

 

Die Methoden

„Die Fremden“ verstehen sich  als politisches Improvisationstheater, das aktuelle Ereignisse und soziale  Missstände aufgreift und umzusetzen versucht. In diese Richtung hat es sich in  sehr kurzer Zeit entwickelt.

Jede  improvisierte Szene (vor dem Haus, im Waschsalon, im Supermarkt) führt  unweigerlich zu einer Darstellung des eigenen Erlebnishorizontes und wird somit  (wenn AusländerInnen ihr soziales Gefüge oder Erleben spielen) zu einem  politischen Ausdrucksmittel. Wie verhalte ich mich, wie agiere ich; wie  reagieren die anderen. Ein Selbsterfahrungsmedium und ein Spiegel.

Es geht um  die Geschicklichkeit, Nachbildungen vom Zusammenleben der Menschen zu  verfertigen, welche ein gewisses Fühlen, Denken und Handeln der Menschen  erzeugen können, die der Anblick oder die Erfahrung der abgebildeten  Wirklichkeit unter Umständen nicht in gleicher Stärke erzeugen. Ein  intensivierter Spiegel des Realen also.

Die Themen  der Eigenproduktionen haben längst den inhaltlichen Rahmen der Thematik „AusländerIn  sein“ gesprengt – was blieb ist das immer implizite Thema der Fremdheit, der  Isolation, des Auf-sich-gestellt-Seins – auch im sozialen Gefüge – und das (Auf)Spüren  dessen, was soziales Unrecht ist.

Der  Anspruch ist im Laufe der fast 15 Jahre ein erweiterter geworden, das  ästhetische Element, die Entwicklung als semiprofessionelle SchauspielerInnen  ist dem politischen und dramapädagogischen Handeln sehr nahe gerückt.

Die  Erarbeitung des Textes, die Abstimmung der Interaktion auf der Bühne hat mehr  Präzision und den Wunsch nach „Fixierung“ des Improvisierten bekommen.

Die  unterschiedlichen Deutschkenntnisse und Akzente der SpielerInnen trotzen jedoch  einer traditionellen Theaterperfektion und wollen sich mit Selbstbewusstsein der  Tatsache stellen, dass im „Neuen“ und „Falschen“ sehr viel Überraschendes und  Poetisches steckt. Irritation aufgrund des Spiels mit Sprache erzeugt bei den  ZuseherInnen selbst Fremdheit. Eine ungewohnte neue Welt, auf die sie sich  einlassen (müssen), in der traditionelle künstlerische Ansprüche neu gemischt  werden. Die Neukomposition ist ein sprachkünstlerischer Akt. Das Poetische liegt  in der Neuschaffung, in der Verkehrung.

Was heißt schon  richtig?

Die Publikationen

Dagmar Ransmayr: Ein Park  zum Platzen. Humor macht politische Realitäten erträglich - 20 Jahre  Theatergruppe  „Die Fremden“, in: Spiel & Bühne, 2/2012, Seite 16-18 [Artikel  lesen...]

Dagmar Ransmayr: Ein Weg aus der Sprachlosigkeit. Innenansichten der Theatergruppe „Die Fremden“,  in: Schriften der Gesellschaft für Theater-Ethnologie, Band 2, "Theater. Begegnung. Integration?",  Frankfurt/ Main (IKO-Verlag), 2003, 342 Seiten, EUR 26,80  [weitere Informationen ...]

 

Einige unserer Spielorte

Interkulttheater Wien Museumsquartier Stadtinitiative Wien Kulturzentrum Amerlingbeisl OHO Oberwart Club Internationale Universitaire Kardinal König Haus - Boal Festival Sommerfestspiele Gossam Kulturzentrum Celeste Wien Bezirksfestwochen Ottakring Interkulturelles Fest Margareten Kulturverein "grünes Kleeblatt" Weinviertel Haager Theaterkeller Internationales Theaterfestival "Focus  2008", Berg im Drautal Theatertage am See, Friedrichshafen uvm. zahlreiche Aufführungen in Kultur- und Rahmenprogrammen schulischer und  universitärer Veranstaltungen.

 

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